Sonntag, 23. Februar 2014

Ausflüge in abgelegene Dörfer, wie ich den Präsidenten traf


Wie bereits im letzten Post angekündigt, habe ich eine Woche mit Ausflügen des MIDES-Ministeriums verbracht. Besagte Ausflüge dienten dem Zweck, Mittel der Sozialhilfe in abgelegene Dörfer zu bringen und dort an Menschen ohne Bankkonto zu verteilen. Außerdem ergab es sich, dass ich den Präsidenten von Panama traf. Mehr dazu mit Foto weiter unten.





Besagte Woche war gleichzeitig meine letzte Arbeitswoche beim Sozialministerium und sollte eigentlich mit einem echten Highlight enden: Einer Helikoptertour. Daraus wurde jedoch leider nichts.

Es war so, wie man es in Panama oft erlebt: Ein Kollege nennt einen Termin, ein anderer Kollege meint, die Tour würde verschoben. Dann stimmt doch der erste Termin, doch es fehlt eine Genehmigung des Direktors, die die Kollegin zwar schon fertig hat, doch kommt sie erst später zur Arbeit. Die Kollegen zur Heli-Tour sind bereits los. Mist.

Doch neben Dörfern, die besser mit dem Heli zu erreichen sind, gibt es auch abgelegene Orte, die zwar weit weg, jedoch über eine Straße zu erreichen sind. Und dann habe ich halt diese Orte besucht. Mit an Board des Autos: Geld, ziemlich viel Geld. Die Sozialhilfe "Red de Oportunidades" etwa, ein Programm in Zusammenarbeit mit der Weltbank, stellt pro Monat $50 bereit. Es werden stets zwei Monate im Voraus bezahlt, macht $100 pro Person. Bei etwa 200 Empfängern pro Dorf kommt man schonmal schnell auf $20000, das etwa zweieinhalbfache des durchschnittlichen jährlichen Einkommens (etwa $7750) in Panama. Hinzu kommen dann noch Mittel der Alters-Grundsicherung "120 a los 70", alles untergebracht in einfachen Umschlägen, in einfachen Pickups des Ministeriums.

Für die Sicherheit sorgt ein Polizist, der jede Delegation begleitet. Entsprechend gedrängt ist der Parkplatz des Ministeriums jeden morgen in dieser Woche. Etwa 10 Polizisten und 30 Kollegen aus allen Abteilungen warten ab 5:00 Uhr auf den Beginn ihrer jeweiligen Tour. Wohin es geht, bekommen sie aus Sicherheitsgründen erst kurz vorher gesagt. Mit 5 Kollegen, verteilt auf zwei Autos, begleitet von einem Polizisten, geht es für mich in ein sehr abgelegenes Dorf: "El Picador" im äußersten Nordwesten der Provinz.


El Picador: kleines Dorf in den Bergen von Cañazas

Ich bin im zweiten Auto unterwegs, das lediglich als "Backup" für das Hauptauto fungiert. Ironischerweise hat gerade das Backup-Auto ein technisches Problem mit den Bremsen, das sich jedoch in Cañazas lösen lässt.  Nach der 3000-Einwohner-Stadt Cañazas geht es noch etwa eine Stunde auf mehr oder weniger abenteuerlichen Straßen weiter.

für Fußgänger gibt es eine Brücke, Autos nehmen die Furt

der Weg erfordert Fingerspitzengefühl vom Fahrer
Im Ort angekommen, erwartet uns bereits eine relative große Ansammlung von Menschen aus dem Dorf und umliegenden Siedlungen. Teilweise sind die Leute neuen Stunden zu Fuß unterwegs gewesen, um den Ort zu erreichen. Außerdem wurde eine Art Wochenmarkt aufgebaut, es werden vor allem Produkte aus der Stadt verkauft: Kleidung, Schuhe, Werkzeuge, Spielsachen, Parfum. Die Kollegen beginnen in einem Pavillon im Ortszentrum mit der Geldausgabe. Dazu werden jeweils 30 Empfänger aufgerufen, die dann nacheinander versorgt werden.
nicht nur aus dem Dorf selbst, auch aus umliegenden
 Siedlungen kommen die Leute nach "El Picador"
Zur Identifizierung der Person muss die sogenannte "Cédula" vorgezeigt werden, der panamenische Personalausweis, den auch permanent in Panama lebende Ausländer bekommen können. Noch wichtiger als der "Cédula" ist jedoch die "numero de cedula", die meist achtstellige Ausweisnummer. Diese Zahlenkombination, die die meisten Panameños auswendig können sollten, wird bei unzähligen Abfragen, in sämtlichen Verträgen, fast überall zusätzlich zum Namen angegeben. Meine Passport-Nummer, die ich anstatt der "Cédula" immer angebe, kenne ich mittlerweile auch auswendig.

Fingerabdruck, eine Unterschrift, $100 im Umschlag
Neben besagter Nummer (sie beginnt in der Provinz Veraguas mit 9, bei Indios aus Komarkas mit PI) müssen außerdem ein Fingerabdruck, sowie eine Unterschrift geleistet werden. Analphabeten halten zweimal ihren Zeigefinger hin. Und das sind einige. Von den 30 Personen pro Formular gaben durchgehend etwa 5-6, also knapp 20 Prozent keine Unterschrift ab. Vorwiegend Frauen im Alter von 40 oder alter können nicht lesen, bei den jüngeren, gerade Volljährigen, entdecke ich kein Feld ohne Unterschrift.

Während die Kollegen die etwa 130 Empfänger finanzieller Unterstützung in diesem Ort versorgen, schaue ich mir das Dorf an. Ein Kollege fragt mich, ob ich bereits das Rind gesehen habe, das gleich geschlachtet werden soll. Da habe ich noch nicht, ich schaue mir also die Schlachtung auf traditionellem Wege an.

Anhand von Bildern möchte ich den Vorgang einmal illustrieren, wer diese nicht sehen will, klicke nicht auf folgenden Button:



Nach etwa anderthalb Stunden war von der Kuh schon nichts mehr zu sehen, alle Teile verkauft, lediglich die Gedärme werden noch gereinigt, um sie zur Wurstproduktion zu verwenden, sämtliche anderen Teile sind bereits für $2,50 pro Pfund unter die Dorfbevölkerung gebracht. Abgesehen vom Schlachtvorgang ein durchaus ethischer Umgang mit dem Tier, nichts bleibt ungenutzt, das Tier starb bei Weitem nicht umsonst.

Neben Fleisch kann aber auch Reis günstig eingekauft werden, hierzu kommt das "IMA"(Instituto de Mercadeo Agropecuario), eine Art Landwirtschaftsgenossenschaft auf der selben staubigen Straße angereist, wie zuvor wir:

etwa 3 Minuten vor Ankunft erkennt man Besucher des Ortes bereits an ihren Staubwolken
Man kann nicht sagen, dass der Staat abgelegene Dörfer wie "El Picador" nicht erreicht. Selbst im abgelegensten Dorf gibt es eine Schule, zumindest eine Primaria. Es gibt aber noch weiter abgelegene Orte, von wo aus die Kinder dann einen langen Weg zur Schule zurücklegen müssen. Zumindest die Alphabetisierung der Jugend sollte somit gesichert sein. Um die weitere Schulausbildung sieht es nicht so rosig aus. Brauchbare Englischkenntnisse haben nach der Secundaria ("High School") nur wenige. Ein Uni-Studium wird eher als Fortsetzung der Schulzeit gesehen, Studierendenquoten von über 60% klingen zwar gut, sind aber wohl eher politisch gewollt und letztlich auf das niedrige Niveau an den Unis zurückzuführen. International anerkannt wird ein derartiger Abschluss daher häufig nicht. Deshalb und wegen des sehr verschulten Uni-Studiums kommt ein Studium in Panama für mich persönlich nicht in Frage.

Neben beschriebenem Ort war ich auch noch in zwei anderen Orten mit dem MIDES unterwegs, um Gelder des Staates zu verteilen. Zum Einen etwa in "El Prado", im Distrikt Las Palmas, der, ähnlich wie der Nordwesten der Provinz bei Cañazas oder die indigene Comarca Ngöbe-Buglé zu den ärmeren Gebieten der zentralen Veraguas-Provinz zählt. Die Besonderheit in "El Prado" war die Nutzung von Auszahlungsmaschinen, die die Arbeit unglaublich beschleunigten.

Claudia und Arne nehmen einen Fingerabdruck und gleichen den Ausweis ("Cédula) ab...

...$100 warten bereits im Automaten
Ich kann mich auch nützlich machen. So bekomme ich eine Liste mit den Namen aller Empfänger in die Hand gedrückt, bei denen ich jeweils einen Haken machen soll. Einige wenige Empfänger haben einen Vermerk in der Liste, was den Schulbesuch der Kinder angeht. Die an Volljährige verteilten Mittel des "Red de Oportunidades" sind an einen Nachweis des Schulbesuches der Kinder gebunden, falls vorhanden. Meldet das Bildungsministerium (MEDUCA) ein Kind als "abwesend", weil es zu viele Fehltage hatte, können schnell sämtliche Mittel des Staates gekürzt werden.

Meinen letzten Ausflug mit dem MIDES kann man als eine Art Ausgleich für den verpassten Helikopter-Flug sehen: Es sollen Gelder mit dem Boot auf eine Insel im Süden des Distrikts Soná, sowie einen Ort im bereits angesprochenen "Las Palmas" gebracht und dort verteilt werden.

Wir starten dazu von Puerto Mutis aus mit einem Boot der Polizei in Richtung Süden. Jedoch war dies kein Boot, wie jenes, das mich damals mit der anam (ebenfalls von Puerto Mutis aus) nach Cébaco brachte. Dieses Boot war etwas schneller. Mit knapp 38 Knoten über Grund (etwa 70km/h) Höchstgeschwindigkeit bringen uns vier Polizsiten aus der Bucht von Puerto Mutis heraus zur Insel Bahia Honda:

Pto. Mutis - Bahia Honda - Pixvae Von Puerto Mutis (rot) geht es nacheinander
in die Fischerdörfer Bahia Honda sowie Pixvae


So wie bereits in "El Picador" verläuft die Registrierung von Hand, dauert also etwas. Ich widme mich wieder der Aufgabe, Vermerke herauszusuchen. Zu dem bereits genannten Hinweis, den Schulbesuch des Nachwuschs sicherstellen zu mögen, kommt auf Bahia Honda noch ein weiterer: Das Chicha-Verbot. In vielen Haushalten wird die sogenannte "Chicha de Maíz" oder auch "Chicha Fuerte" hergestellt, ein alkoholisches Getränk aus fermentiertem Mais, dessen Herstellung illegal ist. Ich habe das Getränk auch schon probiert, schmeckt je nach Menge zugegebenen Zuckers bitter bis herb. Normalerweise interessiert es auch niemanden, wenn für den Eigenbedarf Chicha hergestellt wird, solange dies nicht gewerbsmäßig geschieht. Empfänger staatlicher Unterstützung können bei Bekanntwerden der Herstellung besagten Getränkes in den eigenen vier Wänden die Mittel gestrichen werden.

Nach Fisch zum Mittagessen geht es weiter zu einem Ort, der zwar auf dem Festland liegt, jedoch mit dem Boot sinnvoller zu erreichen ist als per Auto. Der Name des Ortes könnte so ebenfalls in Schweden gefunden werden: Pixvae. In der Aula der Schule sind bereits alle versammelt:


Wir sind gerade halb mit der Verteilung durch, da fällt meiner Kollegin etwas auf. "Müssen die Empfänger der Sozialhilfe etwa in zwei Feldern ihren Fingerabdruck abgeben zusätzlich zur Unterschrift?" Die eine Kollegin meint, das dem so wäre, die andere ist sich nicht sicher. Ein Anruf beim Chef in Santiago bringt Klarheit: Von etwa 70 Leuten fehlt noch ein Fingerabdruck, die meisten davon aus Bahia Honda. Unser Arbeitstag verlängert sich also noch ein wenig, da alle noch einmal zusammen getrommelt werden müssen. Außerdem fahren wir noch einmal zurück nach Bahia Honda.
und ab dafür: mit 70 Sachen zurück
Das ist aber alles halb so schlimm für mich, habe keine Eile. Was ich habe, ist Jonas Jonassons "Die Analphabetin, die rechnen konnte", das etwa anderthalb Monate per Post aus Deutschland unterwegs war.

Es wird schon langsam Dunkel, als wir uns Puerto Mutis nähern. Wir halten an einem Fischerboot, die Polizisten kaufen Langosta (Hummer) bei einem Fischer und weisen mich an, davon kein Foto zu machen, da das im Dienst nicht erlaubt sei. Letztlich kommen wir dann im Hafen an, ein langer Tag geht zuende.

Feria de Soná - wie ich den Präsidenten traf

Nun aber zu dem bereits angekündigten Zusammentreffen mit dem Präsidenten Panamas. Es ergab sich am Freitag, den 14. Februar, der hier "Día del amor y de la amistad" "Tag der Liebe und der Freundschaft" genannt wird. An diesem Tag wurde die Feria, eine Mischung aus Garten- und Landwirtschaftsschau, Messe für Handwerkskunst und Party, eröffnet. Und zwar durch el Presidente de la Republica de Panama Ricardo Martinelli. Als dieser, seine Rede beendet, sich von der Bühne durch die Menge einen Weg sucht, ergreifen ein Kollege und ich die Chance. Ich stelle mich dem Präsidenten schlichtweg in den Weg und sage ihm, ich sei aus Deutschland und frage, ob ich ein Foto mit ihm haben könnte. Er antwortet mit "Guten Tag" und mein Kollege macht den Schnappschuss:

Präsident Ricardo Martinelli und Arne

Mit dem Foto in der Kamera geht es zum Stand des MIDES, den ich schon knapp einen Monat zuvor besucht hatte. Dort gibt es kostenlos Essen ("Sancocho", sowie Reis mit Huhn), sowie einen Schaugarten zu sehen. Nachdem alle vergebens auf den Präsidenten gewartet haben, der eventuell vorbei kommen wollte, eröffnet der Regionalchef des Ministeriums den Stand:
feierlich eröffnet: Das Buffet am Stand des MIDES
Als der Pflichtteil getan ist, begebe ich mich mit Kollegen in den Vergnügungsbereich dieser Lokalmesse. Die Instanz, wenn es um große Partys in Panama geht, das PH (Pub Herrerano) hat auch hier sein Zelt aufgebaut und bietet elektronische Musik zu $30 Eintritt. Wir setzen uns sinnvollerweise in einen der vielen kleineren Biergärten. Bei einigen Balboa-Bier treffe ich dann auch auf die alten anam-Kollegen. Kaum vorstellbar, das meine Zeit bei der anam vor mehr als zwei Monaten bereits beendet war.

Gegen 1 Uhr verlassen wir das Gelände der Feria schließlich, als der Motor des Pickups des Ministeriums endlich anspringen will.


In der vergangenen Woche war ich für vier Tage im wunderschönen, touristisch genutzten, Ort Boquete. Neben der obligatorischen Kaffee-Tour habe ich auch eine sechsstündige Nachtwanderung auf den höchsten Berg Panamas, den Vulkan Barú unternommen, was das beeindruckendste Erlebnis meiner gesamten Reise werden sollte.

Mehr dazu im nächsten Eintrag.

Arne

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